Ulrich-Christian Dinse

 

thumb_IMG_6928_1024 ©Alexandra Rojas

Foto: Alexandra Rojas Gonzáles, 2016

Wohnhaft in Frankfurt (Oder) seit 1967

„Was verbinden Sie mit dem Ferdinandshof, ihre persönlichen Erlebnisse,

Erinnerungen?“

 

„Ich habe viele Erinnerungen an den sogenannten Ferdinandshof. In den

Nachkriegsjahren ab 1945 waren auf diesem Gewerbehof sehr viele

unterschiedliche Firmen angesiedelt, unter anderem ein Arzneimittelkontor.

In dieser Firma arbeitete mein Großvater. Da wir ihn ab und zu von der Arbeit

abholten, konnte ich mich in diesen Räumen umsehen. Das sind meine

ältesten Erinnerungen aus der Zeit um 1960 oder kurz danach.“

 

„Wo war das Kontor untergebracht? Im Gebäudetrakt hinter dem Kesselhaus,

dem ehemaligen Brauhaus von Schindler?“

 

„Ja, ich denke, dass es in diesen Räumen untergebracht war. Ich kann mich
noch an den Hof und die großen Vorratsbehältnisse aus Glas erinnern,

in denen die Drogen und Pharmaka aufbewahrt wurden. Und ich weiß noch,

dass sehr viele andere Beschäftigte auf dem Hof herumliefen, es herrschte

ein reges Treiben. Es waren viele Firmen untergebracht, die aus der

ausgebrannten Innenstadt gekommen waren und hier ein neues Quartier

gefunden hatten. Zu dieser Zeit stand die Innenstadt ja noch am Anfang

ihres Wiederaufbaus.

 

Die nächsten Erinnerungen stammen aus einer ganz anderen Zeit:

Anfang der 1980er Jahre leitete ich in der Gubener Vorstadt einen Baubereich

des Reparaturbaubetriebes, damals VEB Bau benannt. Ich wurde vom

Betriebsleiter der dort ansässigen Spirituosenfabrik gebeten, mit meinen

Baubrigaden dringend notwendige Sanierungsarbeiten außerhalb eigentlicher

betrieblicher Planvorgaben nachzukommen. Es ging um die Aufrechterhaltung

der Betriebserlaubnis bzw. um dringenden Hygienevorschriften nachzukommen.

So arbeiteten wir dort mehrere Jahre zusätzlich nach Feierabend und fliesten

unter anderem die Produktionsräume in Keller und Erdgeschoss.

Es entwickelte sich ein sehr gutes, freundschaftliches Verhältnis und ich machte

für den Betriebsleiter weitere Planungen, z. B. hinsichtlich technologischer Vorgänge.

Da der Betrieb damals sehr viele Besucher hatte, bauten wir auch den Keller

im Wohnhaus Gubener Straße 9 zu Aufenthalts- und Verkostungsräumen um,

unter anderem mit einem dekorativen Kamin mit Grill.

Auch die Räume unterhalb der Mälzerei mit den Granitsäulen – sehr aufwändig

errichtete Gebäudeteile – ließ ich sanieren. Die Bauarbeiten zogen sich

insgesamt fast bis zur Wende 1989.“

Viele stadtbekannte Mandatsträger gingen hier des Öfteren ein und aus

und mit einem „Fläschchen“ in der Aktentasche nach Hause.

Auch an die Partnerbeziehung zu einer renommierten tschechischen

Brauerei und die regelmäßigen Besuchsfahrten dorthin erinnere ich

mich sehr gern zurück. Betriebsbesichtigungen mit zugehörigen

„Verkostungen“ wurden stets gut angenommen.

 

„Der Betrieb gehörte zu dieser Zeit zum VEB Bärensiegel.“

 

„Ja, die Spirituosenfabrik Frankfurt gehörte zum Kombinat Bärensiegel

in Berlin. Dass diese nach der Wende beginnende Absatzschwierigkeiten hatten,

ist bekannt. So trennte sich Bärensiegel Berlin sehr bald vom Frankfurter Standort.

Ein Betriebsteil, der vorher dem Hauptstandort oftmals aus der Planmisere

geholfen hatte! Denn Norbert Kubin, der damalige Betriebsleiter, hatte ein

sehr enges Verhältnis zu seinen Angestellten und konnte mit ihnen in sehr

vielen Wochenendschichten die Planrückstände für die Berliner wieder

gutmachen. Aber dieses Kapitel endete Anfang der 1990er Jahre.

 

Nach der Wende wurde ich Leiter der Denkmalbehörde in Frankfurt

und bin nun von anderer Warte wieder mit dem Objekt betraut.

Es war nämlich inzwischen an Berliner Investoren verkauft worden.

Und sie überraschten plötzlich damit, dass sie die Fenster vom Vorderhaus

ausgebaut und durch neue ersetzt hatten – man sieht es jetzt noch

im Obergeschoss des Geschäftshauses an der Gubener Straße.

Da dieser Eingriff ohne Erlaubnis stattgefunden hatte und das Objekt

damals ein Unterschutzstellungsverfahren zum Denkmal durchlief,

mussten wir Kontakt mit den neuen Eignern aufnehmen. Doch es konnte

kein Übereinkommen mit den Eigentümern erzielt werden. So wurden

die Bauarbeiten eingestellt und ein Genehmigungsverfahren eingeleitet.

Dabei blieb es dann auch, weitere Sanierungsarbeiten wurden nicht in

Angriff genommen. So verwahrloste der gesamte Gebäudekomplex

in den kommenden Jahren deutlich und ich war veranlasst, immer

neue Anhörungsverfahren gegenüber den Verantwortungsträgern

zu eröffnen.“

 

„Wer waren denn diese Eigentümer? Hat das nicht ein Investor gekauft,

der einen Sportpark errichten wollte?“

 

„Das hat die Henninger-Gruppe aus Berlin erworben, sie hatten

mehrere Immobilien im Umfeld gekauft oder neu errichtet.

Eines davon ist das City Park Hotel, was allerdings auf einer

Baubrache gebaut wurde. Man hatte damals größere Erweiterungen vor,

sie gingen meines Wissens fast bis zum Bahnhof hinauf. Man wollte

in die vorhandene Bausubstanz eine Schneise hineinbrechen,

um mit Gewerbe-Neubauten eine Art „Mall“ zu errichten, welche

die Frankfurter vom Bahnhof aus bis fast in die Innenstadt führen sollte,

mit Geschäften, gastronomischen Einrichtungen und so weiter.

Der Traum ist wahrscheinlich wegen mangelnder Rentabilitätserwartung

sehr schnell geplatzt und bauliche Erweiterungen bzw. Sanierungen

wurden nicht mehr durchgeführt. Das ist der traurige Zustand,

der nun seit einigen Jahren vorherrscht.

Aber seit die Objekte Gubener Straße 8 und 9 vor etwa zwei Jahren

verkauft wurden, tun sich erstmals wieder neue Chancen auf:

Ich führte im Vorfeld Gespräche mit der Brandenburgischen Technischen

Universität Cottbus und später auch mit dem Studiengang Schutz

Europäischer Kulturgüter der Universität Viadrina und machte dort

auf diese Invest-Brache aufmerksam.

Ich bin also im Grunde seit den 1980er Jahren ohne Unterlass

mit dem Komplex beschäftigt!“

 

„War die Stadt Frankfurt eigentlich zu einem Zeitpunkt Eigentümer

des Ferdinandshofs?“

 

„Der Besitz der IGEWO war in mehrere Kommanditgesellschaften

aufgeteilt, zu einer davon gehörten die Gebäude Gubener Straße 7, 8

und 9 – also das, was jetzt der Gewerbehof ist. Doch sie gerieten

in wirtschaftliche Schieflage, durch den Immobilienbesitz ergaben

sich ja praktisch keine Einnahmen. Ich glaube 2012 oder 2013 wurde

schließlich Insolvenz angemeldet. Die Insolvenzverwalter schrieben

dann, in Abstimmung mit der Stadt, diese Grundstücke aus,

um einen neuen Eigentümer zu finden. Dies gelang schließlich

mit einem Berliner Bauträgerunternehmen.

Die Stadt selbst kann nicht alle Grundstücke von in Schieflage

geratenen Eigentümern übernehmen. Aber in Abstimmung

mit der Denkmalbehörde und Sanierungsstelle versucht man schon,

behördlicherseits Prozesse anzuschieben bzw. auf solche

Problemfälle aufmerksam zu machen.“

 

„Stichwort Denkmal: Hat der Ferdinandshof Denkmalwert für Sie?

Oder wie begründen die Denkmalbehörden den Denkmalstatus?“

 

„Die denkmalrechtlichen Gutachten werden nicht von der kommunalen

Denkmalbehörde gemacht, sondern vom Brandenburgischen

Landesamt für Denkmalpflege, welches als Denkmalfachbehörde fungiert.

Der Denkmalstatus ist bereits 1991 oder 1992 ausgewiesen worden,

dafür gab es unterschiedliche Parameter. Dazu gehören unter anderem

der architektonische Wert der Anlage, der historische oder der

Denkmalwert als Industrieanlage.

Hier muss man in die Frankfurter Stadtgeschichte blicken:

Es begann mit der städtebaulichen Erweiterung nach Ende

des Dreißigjährigen Kriegs, als erste Wege und Pavillons entstanden,

zunächst hauptsächlich von der Lindenstraße sich nach Westen erstreckend,

bis hinauf zu den heutigen Bahnanlagen. Die dortigen, langgestreckten

Grundstücke wurden später der besseren Erreichbarkeit wegen zusätzlich

mit rückwärtigen Wegen versehen. Ein solcher war zum Beispiel

der Steinweg, welcher später zu einer Straße ausgebaut und auf beiden

Straßenseiten bebaut wurde – das war dann in etwa der Zustand

im 19. Jahrhundert. Mit der Industrialisierung wichen viele

Frankfurter Gewerbebetriebe, auch private Brauereien, die sich damals

auf innerstädtischen Grundstücken befanden und expandieren wollten,

in den neuen Freiraum der Gubener Vorstadt aus. Zudem konnten

sie ihr Bier gut in dafür errichteten Bierkellern lagern, welche

in die Hänge hineingebaut worden waren.

So kam es auch zum Bau der Schindler’schen Brauerei mit

repräsentativem Wohnhaus. Jetzt besitzt das Objekt zum Beispiel

den letzten, in Frankfurt noch erhaltenen viereckigen Industrieschornstein –

eine Bauform, die aufgrund von Weiterentwicklungen andernorts

meist verloren gegangen ist, aber sich an diesem Standort noch

erhalten hat und hier zur Bedeutung des Denkmalwerts beiträgt.“

 

„Die Weichen für die Zukunft sind mit dem neuen Investor nun

eigentlich gestellt, aber was wünschen Sie persönlich dem Objekt

in der Gubener Straße?“

 

„Es besteht jetzt Aussicht auf Rettung der Anlage! Es wird sich zeigen,

ob die Sache umsetzbar ist, denn es ist ein weiter Weg und ist ein großes

Vorhaben. Es verlangt eine gehörige Investition und ist letzten Endes

an eine Erwartungshaltung – die Refinanzierung – gebunden.

Und da steht man noch am Anfang. Aber ich schaue jetzt wieder

optimistischer in die Zukunft! Ich hoffe, dass die bauliche

Umsetzung noch in diesem Jahr beginnen kann. Für die Realisierung

der studentischen Wohnungen sind größere Fördersummen im Spiel

und diese müssen in entsprechenden Zeiträumen umgesetzt werden –

das ist eine recht anspruchsvolle Sache!

Insgesamt ist es eine vielschichtige Nutzungsvorstellung, die aus meiner

Sicht wünschenswert und richtig ist. Wir hoffen, dass sich diese Investitionen

so realisieren lassen und dass dort wieder Leben entsteht, denn die Lage

ist grandios. So war von Anfang an meine Vorstellung, dass die Studierenden

vom Bahnhof her herunter laufen, sie auf dieses Gelände zu locken und dort

verweilen zu lassen – z. B. in gastronomischen Einrichtungen oder durch

studentisches Wohnen.

Und dann gibt es noch die beiden repräsentativen Wohnhäuser.

Hierfür müssen Mieter gefunden werden, die sich eine große,

sanierte Wohnung leisten wollen.

Es gibt noch einige Fragen, die zu beantworten sind. Aber wie gesagt:

In meinem Traum funktioniert das Ganze – den habe ich über Jahrzehnte

gehabt! Und jetzt sind wir doch nahe dran, also toi toi toi!“

 

„Das wünschen wir als Projektgruppe dem Vorhaben auch!

Herr Dinse, vielen Dank für das Interview.“